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Toleranz und Weitblick

Kurz vor seinem Tod im Jahr 1567 hinterlässt Landgraf Philipp I. von Hessen, genannt der “Großmütige", seinen Söhnen folgenden Leitsatz als Vermächtnis: „Niemanden um des Glaubens willen am Leben strafen.“

Dieser schlichte Grundsatz im Namen der Toleranz hat mich so beeindruckt, dass er zum Leitfaden für meinen Kalender 2020 wurde.

Wir befinden uns im Zeitalter der Reformation, einer Zeit der kämpferischen Auseinandersetzungen von Fürsten und Kirche, von Ketzerverfolgungen und Bauernkriegen. Ein unruhige Zeit des Aufbruchs mit hohem Gewaltpotential, das sich in Scharmützeln und Kriegen entlud. Mittendrin muss der 13-jährige Philipp durch den unerwartet frühen Tod des Vaters die Thronfolge übernehmen – kein leichtes Amt. Umso erstaunlicher, dass es ihm gelingt, entgegen der Strömungen seiner Zeit, den Weitblick zu bewahren und später auch in den Dialog mit Andersdenkenden zu treten. Mit 17 Jahren lernte er Martin Luther auf dem Reichstag in Worms kennen. Ab 1524 förderte Philipp bereits die protestantische Lehre und wurde zum Vorkämpfer der Reformation. 

 

Als die Bauernkriege ausbrachen, ließ Philipp zwar die Aufstände niederschlagen, ordnete aber auch  Befragungen an, um sich über die Probleme der Landbevölkerung zu informieren. In der Konsequenz ließ er einen Großteil der Missstände abstellen. Auch seine Haltung gegenüber den Täufern war von Toleranz und Weitsicht geprägt. Er verzichtete auf die üblichen Verfolgungen und lud stattdessen zu Diskussionen und Gesprächen ein. 1529 fand das Marburger Religionsgespräch zwischen den Reformatoren Martin Luther und Ulrich Zwingli statt, von dem sich Philipp eine Einigung des Protestantismus erhoffte. Der Reformator Martin Bucer erarbeitete später im Auftrag Philipps die „Ziegenhainer Zuchtordnung“. Als Konsequenz wurde die Konfirmation eingeführt. 

Daraufhin konnten Kinder im Konfirmationsunterricht Lesen und Schreiben lernen. Philipp gründete Schulen sowie die Marburger Universität. Durch die Auflösung der Klöster errichtete Philipp ein System von ersten Krankenhäusern in Hessen und erließ zugleich Regelungen für die Krankenpflege. Warum aber war dieser kluge und bedachte Mann so lange etwas peinlich für die von ihm so geförderte, evangelische Kirche? Leider hatte Philipp eine sehr stark entwickelte Libido. Hätte er nur nicht auf einer Doppelehe mit Margarethe von der Saale bestanden. Aber Philipp war gläubig und suchte die Genehmigung bei den Reformatoren. Um seinen besonderen "Notstand" zu begründen, argumentierte er sogar mit dem Vorhandensein von drei Hoden.

Die Ehe wurde von protestantischer Seite genehmigt, aber für Kaiser Karl V. war Bigamie eine Todsünde. So musste Philipp im Schmalkaldischen Krieg große Zugeständnisse an den Kaiser machen und geriet später in eine fünfjährige Gefangenschaft. Er kehrte daraus als gebrochener Mann zurück. Philipp wurde zum Begründer der Darmstädter Dynastie und schuf durch die Weitergabe seiner Werte ein Klima der Toleranz, das sich auch in den späteren Darmstädter Fürstengenerationen wiederfindet. Denn er übte nicht nur Toleranz gegenüber Bauernführern und Täufern, auch Juden ermöglichte er bessere Lebensbedingungen. Philipp war kein Heiliger, aber für mich ist er ein ganz besonderes Vorbild.