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Abschied vom Kugelfisch – Emanuel Merck

Verschreibt ein Arzt ein Medikament, gehen wir in die Apotheke und erhalten in der Regel ein Präparat, das industriell hergestellt wurde. Das war nicht immer so. Noch vor einigen Jahrzehnten wurden viele Medikamente direkt in der Apotheke zubereitet. Heute kommt das eher selten vor. Aber die Geschichte der Apotheken reicht bis ins zwölfte Jahrhundert. Um 1241 wurde vom Stauferkaiser Friedrich II. im Königreich Sizilien das „Edikt von Salerno“ („ Medizinalordnung") erlassen: die erste gesetzlich fixierte Trennung der Berufe Arzt und Apotheker. Ärzte durften keine Apotheke besitzen oder daran beteiligt sein. Arzneimittelpreise wurden gesetzlich festgeschrieben, um Preistreiberei zu verhindern. Das Edikt von Salerno wurde Vorbild der Apothekengesetzgebung in ganz Europa. 

Dieses erstaunlich fortschrittliche Konzept bewährte sich. Oft durften Kunden die Apotheken gar nicht  betreten, sondern erhielten ihre Rezepturen über eine Fensterluke – unter hygienischen Aspekten eine sinnvolle Maßnahme. Im Merck-Museum kann man heute den Original-Rezepturtisch der Merckschen Apotheke aus der Zeit von Friedrich Jacob Merck, um 1668 sehen. Über dem Tisch hängen einträchtig ein Krokodil und ein Kugelfisch. Das Krokodil symbolisierte die Fähigkeit des Apothekers auch exotische Heilmittel und damit besonders heilkräftige Zutaten besorgen zu können. Der Kugelfisch dagegen galt als Symbol für die Signaturenlehre. Hier ging man davon aus, dass man von den äußeren Eigenschaften einer Pflanze oder Tieres das zu behandelnde Körperteil oder Organ beim Menschen ableiten könne.

Szenenwechsel: Sommer 2019
Termin mit Frau Dr. Sabine Bernschneider-Reif, Head of Corporate History, im Merck-Archiv beim Unternehmen Merck. Vor unserem Treffen waren einige Hürden zu überwinden und angesichts der vielen Sicherheitsmaßnahmen hatte ich das Gefühl, eine Festung erobert zu haben, als ich endlich am ersehnten Ort stand. Hinaus kam ich übrigens auch nicht ohne weiteres. Der Automat am Ausgang fraß meine Besucherkarte, wollte mich aber trotzdem nicht hinauslassen. So stand ich vor der Gittertür bis mich ein freundlicher Mitarbeiter  zu einem anderen Ausgang eskortierte. 
Aber zurück zu Emanuel Merck:

Mich faszinierte der Mensch Emanuel Merck und ich wollte mehr wissen, denn das Unternehmen Merck ist sehr eng mit Darmstadts Geschichte und der städtischen, industriellen Entwicklung verbunden. 

Emanuel Merck war Forscher, Unternehmer und Netzwerker in Einem. Nach einer hervorragenden Ausbildung im Privatinstitut des berühmten Pharmazeuten Trommsdorff in Erfurt, legte er 1816 das hessische Apothekerexamen ab. Sein Interesse galt anfangs den Alkaloiden, hochwirksamen Pflanzenwirkstoffen, darunter Morphin oder Chinin. Man kann sich vorstellen, wie wichtig es war, diese z.T. giftigen Arzneistoffe professionell aus den Rohstoffen zu isolieren und in hoher Reinheit anzubieten. Emanuel Merck gelang es, Verfahren zu entwickeln, um solche reinen Stoffe zu erhalten.

1827 versandte Merck mit seinem „Novitäten-Cabinet“ Proben und Informationen zu den hergestellten Wirkstoffen an Kollegen, um die Heilmittel „immer mehr zur allgemeinen Kentniss zu bringen“. Die Qualität überzeugte und bildete den Grundstein für die Fabrikation „im Großen“.  Emanuels drei Söhne entwickelten das Unternehmen nach der Strategie ihres Vaters weiter. Auch heute ist Merck noch zu 70 Prozent im Besitz der Familie.

Meinen herzlichen Dank an Frau Dr. Sabine Bernschneider-Reif und Frau Katja Glock M. A vom Merck Archiv für Informations- und Bildmaterial!