· 

Dornige Blüten

Die Darmstädter Autorin Gabriele Wohmann zählte zu den bekanntesten deutschen Schriftstellerinnen in den 70-ger und 80-ger Jahren. 600 Erzählungen, 17 Romane, Essays und Gedichte, 25 Hörspiele und Theaterstücke  – das ist die Bilanz Ihrer bemerkenswerten Produktivität.

Meine Annäherung an sie gestaltete sich eher spröde. Auch ich hatte früher ein paar Erzählungen von ihr gelesen, blieb aber distanziert. Ihre Texte sind keine Kuschelliteratur, nichts fürs Herz, keine Abenteuer, keine Romanzen. So war es für mich nicht so leicht, mich ihr anzunähern. Gabriele Wohmann beschrieb unter anderem Gedankengänge von Männern, Frauen, Kindern und entlarvte so manches nach außen biedere Getue. Das brachte ihre den Ruf ein, „einen bösen Blick" zu haben. Diese Bezeichnung finde ich nicht passend. Sie beschrieb, was sie wahrnahm. Das ist ehrlich – nicht immer schön, aber authentisch. Und bei aller Bissigkeit ist auch viel Wahres und Liebevolles zwischen den Zeilen zu finden.

Interessanter ist für mich die Frage, wie Gabriele Wohmann überhaupt dazu kam, so zu schreiben. Im Gegensatz zu meinen anderen Protagonisten hatte sie es „gut": in Bessungen aufgewachsen in einer Pfarrersfamilie mit liebevollem Umgang untereinander, mit einem Vater, den sie Zeit ihres Lebens verehrte und dem sie ihre starken Wurzeln im Glauben verdankte, einem Ehemann, der Ihr Zeit ihres Lebens zur Seite stand, einem Atelierhaus an der Rosenhöhe... Eigentlich eher das Leben einer glücklichen Prinzessin. Warum dann keine heiteren Geschichten und Erzählungen bei so glücklichen Umständen? Warum in späteren Jahren eine Phase des Alkoholismus?

Vielleicht, weil sie die große Harmonie innerhalb der Familie umso unduldsamer gegenüber weniger edlen gestimmten Gemütern machte  –  vielleicht. Vielleicht ist auch eine glückliche Kindheit kein Garant für ein glückliches Menschsein. 

Meine Wege zu Gabriele Wohmann führten mich über das Lesen verschiedener Erzählungen sowie einer Biografie auch  auf die Rosenhöhe. Ich betrachtete die Ateliers der damaligen Künstlerkolonie, graue Betonkeile, schattig, moosig, eher düster. Dort arbeitete und lebte Gabriele Wohmann mit ihrem Mann, dem Germanisten Reiner Wohmann lange Jahre. Sie selbst bezeichnete sich als Graphomanin. Sie schrieb, weil sie schreiben musste. Mindestens acht Seiten pro Tag. Aber ihr Schreiben hat sich im Lauf Ihres Lebens immer wieder verändert, ist mit ihr gewachsen.  So werden ihre Texte liebevoller und verständnisvoller. In dem Buch „Ausflug mit der Mutter" beschreibt sie sich und ihr Verhältnis zu ihrer allein lebender Mutter mit Ehrlichkeit und Zärtlichkeit. Eine aufrichtige Reflexion des eigenen Verhaltens und Denkens. So liegen Schönheit und Spitzen eng beieinander: Dornige Blüten!